
Wer? Chaos Computer Club (CCC), Datenschutzbehörden und andere NGOs; was? die umstrittene EU-Regelung zur Erkennung von Kindesmissbrauchsmaterial („Chatkontrolle“/CSAR); wann? mit einer entscheidenden Abstimmung im Rat der EU am 13./14. Oktober 2025; wo? auf EU-Ebene mit unmittelbaren Folgen für Nutzer und Dienste in Deutschland; warum? Kritiker sehen eine massive Gefährdung von Verschlüsselung, Fernmeldegeheimnis und Pressefreiheit. Erste Warnrufe und Appelle an die Bundesregierung kamen in den letzten Tagen offen von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem Chaos Computer Club (03.10.2025) sowie von nationalen Aufsichtsbehörden.
Lead: Was steht auf dem Spiel?
Die geplante EU-Verordnung zur Prävention und Bekämpfung von Kindesmissbrauch (häufig «Chatkontrolle» genannt) sieht vor, dass Anbieter von Kommunikationsdiensten künftig Inhalte — auch solche, die Ende-zu-Ende verschlüsselt sind — mithilfe technischer Verfahren auf Hinweise auf Kindesmissbrauch prüfen müssen. In der aktuellen Diskussion warnen der CCC und andere Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen, dass diese Verpflichtung in der Praxis auf Client-Side-Scanning hinausläuft und damit faktisch jede private Nachricht überprüfbar würde. In Deutschland fordert insbesondere der CCC die Bundesregierung auf, die Chatkontrolle in dieser Form abzulehnen; offizielle Stellen wie der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) mahnen ebenfalls zur Vorsicht und Nachbesserung. Erste Berichte und NGO-Stellungnahmen datieren aus den letzten Tagen (Oktober 2025) und zeigen, wie akut die Debatte geworden ist. Siehe dazu die Meldung des CCC vom 3. Oktober 2025 sowie die Position des BfDI.
Hintergrund: Was steht in dem Vorschlag?
Die Verordnung (CSAR) wurde ursprünglich von der Europäischen Kommission vorgelegt, um die Verbreitung von Material sexuellen Kindesmissbrauchs im Netz zu bekämpfen. Kernelemente sind Melde- und Erkennungsverpflichtungen für Plattformbetreiber, Fristen zur Löschung und die Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden. Kritisch ist die Vorgabe, dass auch verschlüsselte Kommunikation Inhalte prüfen muss — was technisch meist nur durch Überprüfungen auf Endgerätsebene (client-side scanning) möglich wäre. Experten, NGOs und Teile der Tech-Branche warnen, dass solche Systeme nicht nur falschpositive Meldungen produzieren, sondern vor allem systematische Schwachstellen für die Sicherheit aller Nutzer schaffen: Angreifer könnten die Überprüfung umgehen, missbrauchen oder die so geschaffenen Erkennungsmechanismen selbst angreifen.
Reaktionen: CCC, BfDI und andere Akteure
Der Chaos Computer Club hat am 3. Oktober 2025 eindringlich an die Bundesregierung appelliert, einer Ausweitung der Chatkontrolle eine Absage zu erteilen. Der CCC beschreibt den vorliegenden Text als eine „unveränderte Katastrophe für vertrauliche Kommunikation“ und nennt als Folgen eine Aushöhlung der Verschlüsselung und eine Schwächung des Fernmeldegeheimnisses. Parallel hat der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (BfDI) erklärt, die Verordnung in ihrer derzeitigen Form dürfe nicht realisiert werden; er fordert Nachbesserungen, damit Grundrechte gewahrt bleiben und Datenschutzstandards erhalten bleiben.
Internationale Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) und Verbraucherschutzverbände sehen dieselben Risiken und warnen vor einem europaweiten Präzedenzfall, der sichere Verschlüsselung untergraben würde. Zahlreiche Kryptographie- und IT-Sicherheitsexperten haben bereits in offenen Briefen auf die technischen und sicherheitsrelevanten Probleme hingewiesen; außerdem kündigen einzelne Dienste rechtliche Schritte an oder prüfen Alternativen, falls die Regeln verpflichtend würden.
Rechtliche Einordnung: Welche Grundrechte sind betroffen?
Aus rechtlicher Perspektive berührt die Chatkontrolle mehrere Kernprinzipien: das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG in Verbindung mit europäischem Recht), den Datenschutz (DSGVO-Rechtsrahmen) sowie die Meinungs- und Pressefreiheit, wenn etwa journalistische Kommunikation nicht ausreichend geschützt wird. Nationale Datenschutzbehörden und Verfassungsrechtler weisen darauf hin, dass eine Maßnahme, die in die Vertraulichkeit der Kommunikation eingreift, strengen Anforderungen genügen muss: Sie muss notwendig, verhältnismäßig und klar gesetzlich verankert sein. Die Befürchtung: Die aktuelle Fassung der Verordnung legt zu wenig Präzision fest und überlässt viel Ermessensspielraum technischen Implementierungen, was im Ergebnis zu einem Gummibegriff und massenhaften, automatisierten Eingriffen führen könnte.
Politische Lage: Warum ist Deutschland wichtig?
Deutschland spielt in der EU-Ratspolitik eine Schlüsselrolle: Als eines der bevölkerungsreichsten Mitgliedsländer könnte eine deutsche Zustimmung das Gesetz maßgeblich vorantreiben — umgekehrt würde ein klares deutsches Nein die Passage deutlich erschweren. In den Tagen vor der geplanten Abstimmung am 13./14. Oktober 2025 ist das Gewicht deutscher Entscheidungen deshalb besonders hoch. NGOs appellieren an die Bundesregierung, bei ihrer ablehnenden Haltung zu bleiben oder zumindest substantielle Nachbesserungen zu fordern. Medienberichte deuten darauf hin, dass es noch Unsicherheit innerhalb der Regierung gibt; kritische Stimmen warnen, dass ein deutsches Ja die Tür zu einer Umsetzung ohne ausreichende Grundrechtssicherung öffnen würde.
Einschätzung: Technische Risiken und gesellschaftliche Folgen
Aus technischer Sicht lässt sich festhalten: Client-Side-Scanning setzt voraus, dass ein Gerät oder eine App Inhalte vor dem Versand analysiert. Das mag auf den ersten Blick effektiv erscheinen, führt aber zu mehreren Problemen: erstens Zuverlässigkeit — KI-Modelle produzieren Fehlalarme; zweitens Sicherheit — zusätzliche Prüf- und Signatursysteme vergrößern die Angriffsfläche; drittens Skalierbarkeit und Missbrauchsrisiko — staatliche oder private Akteure könnten Prüfmechanismen für andere Zwecke instrumentalisieren. Gesellschaftlich droht eine Normalisierung von Massenüberwachung, mit abschreckenden Effekten auf Whistleblower, Journalistinnen und die freie Kommunikation insgesamt.
Was können Bürgerinnen und Bürger tun?
- Informieren: Verfolgen Sie Stellungnahmen von Datenschutzbehörden (z. B. BfDI) und zivilgesellschaftlichen Gruppen.
- Kontaktieren: Wenden Sie sich an Abgeordnete und fordern Sie klare Garantien für Verschlüsselung und Pressefreiheit.
- Unterstützen: Organisationen, die rechtliche Begleitung und Aufklärung leisten (z. B. CCC, EFF), freuen sich über Spenden und Sichtbarkeit.
Fazit
Die Debatte um die Chatkontrolle in Deutschland ist weder rein technisch noch rein juristisch: Sie ist ein grundsätzlicher Konflikt zwischen dem legitimen Ziel, Kindesmissbrauch zu bekämpfen, und dem Schutz fundamentaler Freiheitsrechte. In den Tagen bis zur Abstimmung im EU-Rat (13./14. Oktober 2025) liegt die Verantwortung nun bei den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern: Entweder sie bestehen auf Nachbesserungen, die rechtssichere, zielgerichtete und verhältnismäßige Instrumente vorsehen — oder sie riskieren, eine weitreichende Öffnung der privaten Kommunikation zu legitimieren. Der CCC und Datenschutzinstitutionen haben ihre Position klar gemacht; die Frage lautet, ob die Politik folgt.
Quellen
- Chaos Computer Club — „Aus Sicherheitsgründen: Bundesregierung muss der Chatkontrolle eine Absage erteilen“ (03.10.2025)
- Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) — Hinweis zur geplanten EU-Verordnung (aktualisierte Darstellung, 2025)
- Heise Online — „Deutsches Ja zu Chatkontrolle? CCC & Co. warnen vor Grundrechtsgefährdung“ (05.10.2025)